23 Jahre nach der letzten Volkszählung in Deutschland ist nun der Zensus2011 in vollem Gange. Direkte Befragungen machen nur einen geringen Teil aus, die meisten Informationen kommen aus den Melderegistern und von der Bundesagentur für Arbeit. Neben allgemeinen datenschutzrechtlichen Bedenken, was mit den erfassten Informationen passieren wird, ist nicht zu vernachlässigen, dass einige der Erhebungsbeauftragten, die Bürger_innen interviewen sollen, die Daten zu eigenen Zwecken missbrauchen wollen.
1987 war die gesellschaftliche Situation in der die “Volkszählung” stattfand eine ganz andere als heute. Damals gab es einen breiten gesellschaftlichen Widerstand, der sowohl autonome als auch zivilgesellschaftliche Kräfte einschloss. Es gab Boykottkampagnen und militanten Widerstand, der sogar in großen Mengen die ausgelieferten Fragebögen dem Feuer übergab. Widerstand ist im Gegensatz zu damals heute schwer zu organisieren, da die Datenerfassung und – zusammenführung nicht öffentlich stattfindet und von daher von vielen gar nicht wahrgenommen wird. Der Zensus in diesem Jahr ist durch die Möglichkeit der digitalen Datenspeicherung und behördeninternen Zusammenführung der persönlichen Daten der gesamten Bevölkerung weit aus bedenklicher. Im Gegensatz zu der flächendeckenden Befragung bei der Volkszählung von 1987 stützt sich der Zensus2011 vor allem auf die Zusammenführung der Datensammlungen der Meldeämter und der Bundesagentur für Arbeit. Diese werden mit Hilfe von vereinheitlichen Ordnungsnummern verknüpft und mit Daten aus einer gleichzeitig neu erstellten Wohnungsdatenbank zusammengeführt. Auch hat die Propagandaoffensive von Staat und Kapital eine andere Qualität. Denn diese sind gerade in der Krise an einer möglichst zuverlässigen Erfassung der Nützlichkeit und Verwertbarkeit seiner möglichen Lohnarbeiter_innen im “globalen Wirtschaftskrieg” interessiert.
Damals wie heute wurden die Mitglieder der NPD von ihren Parteioberen dazu aufgefordert sich als “Volkszähler” zu verdingen um an nützliche Informationen für die Neonazipartei zu kommen. Der NPD-Landesvorsitzende Claus Cremer, sowie der Pressesprecher Markus Pohl kündigen eine “nationale Marktforschung” an. Eigenangaben zufolge soll es in NRW rund 20 Erhebungsbeauftragte aus den Reihen der NPD geben. Zweck des Ganzen ist neben Erfassung von Nazigegner_innen, Informationen zu sammeln um potenzielle Wähler_innen besser manipulieren zu können. Als Nebeneffekt verschafft sich die NPD einige Schlagzeilen in den Medien.
Die Interviewer_innen tragen einen Ausweis bei sich, der sie als Erhebungsbeauftragte identifiziert, jedoch ist niemand verpflichtet diese herein zu lassen. Es besteht die Möglichkeit sich den Fragebogen aushändigen lassen und diesen innerhalb von zwei Wochen an die Erhebungsstelle zurücksenden oder auf der Internetseite vom Zensus2011 online ausfüllen. Wer die Auskunft komplett verweigert begeht eine Ordnungswidrigkeit (keine Straftat) und riskiert ein Bußgeld.
Ab dem 9. Mai werden im Rahmen der Haushaltsstichprobe rund 10% der Bevölkerung direkt befragt. Personenbezogene Daten wie Name, Anschrift, Geburtstag etc. sind Teil der Fragebögen und werden bis zu 4 Jahre lang gespeichert. So entstehen detaillierte zentral verfügbare Personenprofile. Wie schon Datenschutz-Skandale vergangener Jahre gezeigt haben, lässt ein Datenleck, besonders in Zeiten digitalisierter Informationsspeicherung und blühendem Handel mit persönlichen Daten, nicht lange auf sich warten. Zum Teil werden sehr persönliche Auskünfte über sich und die Familie verlangt, u.a. Religionszugehörigkeit, Weltanschauung und Glaubensbekenntnis, Migrationshintergrund (auch der Eltern), Bildungsabschluss, Berufstätigkeit, ob man im Falle von Arbeitslosigkeit Hartz-IV-Leistungen bezieht und fleißig Bewerbungen schreibt. Zuvor wurden schon detaillierte Informationen über Besitz- und Mietverhältnisse, Raumangebot, Ausstattung usw. von rund 17,5 Millionen Wohnungs- und Hausbesitzer_innen verlangt.
Hinzu kommt, dass Menschen, die in sogenannten Sonderbereichen leben nahezu komplett entmündigt werden was ihre informationelle Selbstbestimmung angeht. Diese Sonderbereiche umfassen Gefängnisse, Studierendenwohnheime, psychische Kliniken, Wohnstätten für Menschen mit Behinderung, Altenheime, sowie Obdachlose, Asylbewerber_innen und viele mehr. Alles in allem 2 Millionen Menschen.
Die Erfassung in diesen sogenannten Sonderbereichen betrifft im Gegensatz zu der Haushaltsbefragung nicht nur einen Bruchteil, sondern alle. Betroffene haben wenig Möglichkeiten zu protestieren oder die Weitergabe ihrer Daten zu verhindern, da dort teilweise nur die Anstaltsleitung befragt wird.
Alles in Allem gibt es genug Gründe gegen den Zensus und sei es auch nur auf die Unverletzbarkeit der eigenen vier Wände zu bestehen.
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