Gestern am 24. Oktober wurde mit einem großen Staatsakt endlich das Mahnmal für die von den Nazis ermordeten Sinti und Roma eingeweiht. In Nachkriegsdeutschland stufte man diese Opfergruppe des Nationalsozialismus noch lange als zurecht verfolgt ein. Dieser Antiziganismus wurde sogar 1956 vom Bundesgerichtshof in ein richterliches Urteil gegossen. Dies zeugt nicht nur von den Kontinuitäten in Deutschlands Amtsstuben, sondern auch vom Rassismus in der Mehrheitsgesellschaft, der nicht aufhörte diese Opfer des NS zu verhöhnen. Denn nahezu jede_r aus der Minderheit der Sinti und Roma hat im Holocaust mindestens einen Familienangehörigen verloren. Bei der Einweihung des Mahnmals warnte der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma vor einem neuen Rassismus in Deutschland. Doch wenn man sich vor Augen führt, dass laut einer Studie 68% der Deutschen Sinti und Roma mit rassistischen Ressentimentes begegnen, egal ob es um übliche Nachbarschaftsprobleme oder andere Sachverhalte geht, kann man nicht unbedingt von „neu“ sprechen. Die Auswüche dieses Rassismus machen sich auch in Duisburg bemerkbar.
Geschichtsvergessene „Deportationswünsche“ in Bergheim
Im September haben wir bereits über rassistische Hetze gegen nach Duisburg-Bergheim hinzugezogene Roma berichtet. Damals forderten die Anwohner_innen mit einer Unterschriftensammlung eine „Umsiedlung“ dieser Menschen. In der Zwischenzeit haben einige von ihnen Flugblätter vor dem Rathaus mit der Überschrift „Raus mit den Zigeunern“ verteilt. Beim ersten öffentlichen Auftreten wurde noch betont, dass kein zweites Rostock-Lichtenhagen gewünscht sei. Mittlerweile wird von den Unterschriftensammler_innen eine neue Eskalationsstufe betreten. Die Aussage eines Anwohners: „Wir wollen die da weghaben, alles andere interessiert uns nicht mehr“ unterstützt diese Befürchtung. Spätestens jetzt ist klar, dass die vorher zitierte „Angst vor einem zweiten Rostock-Lichtenhagen“ als Drohung und nicht als Warnung benutzt wird. Vor diesem Hintergrund klingt die Berichterstattung der WAZ/NRZ, welche auf in Bergheim aufgetauchte NPD-Aufkleber und eine Hakenkreuzschmiererei anspielt, ziemlich realitätsfern: „Wenn jetzt die rechte Szene mitmische, bestehe die Gefahr, dass all jene, die dortige Missstände anprangern, in die rechte Ecke gestellt werden.“ Denn die Unterschriftensammler_innen haben sich durch die rassistischen Aussagen in ihrem Brief, sowie die darauf folgende Hetze gegen die zugewanderten Menschen ganz alleine in die rechte Ecke gestellt. Da einige der Anwohner_innen ihre neuen Nachbar_innen anscheinend um jeden Preis weghaben wollen, käme ihnen ein brandschatzender Mob aus der rechten Szene nur entgegen.
Von Ignoranz und anderen Lösungsansätzen
Auch wenn in Hochfeld teilweise ein anderer Umgang (Video) mit den sozialen Probleme gefunden wurde gab es auch negative Beispiele, die analog zu Oswald Spenglers Märchen vom Untergang des Abendlandes, den Untergang Hochfelds aufgrund der Zuwanderung prophezeiten. Doch wurde auch versucht an einer Beseitigung der sozialen Missstände (z.B.: zuviele Menschen in einer Wohnung = überlastete Mülltonnen = Müll auf der Straße) zu arbeiten. Aber dieses positive, nicht mit Rassismus durchsetze Beispiel des Umgangs aus Hochfeld, wurde von vielen Bergheimer_innen gänzlich ignoriert. Stattdessen lassen sie dem eigenen Rassismus freien Lauf. Dass hierdurch auch negative Reaktionen der als “Zigeuner” stigmatisierten Menschen hervorgerufen werden, ist selbstverständlich. Doch auch dies wird von den Unterschriftensammler_innen aus Bergheim konsequent ignoriert. Das Sprichwort: “Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es auch heraus”, scheint dort auch nicht bekannt zu sein und die „Schuld“ wird nach bekannten antiziganistischem Muster den Opfern der sozialen Missstände zugeschrieben.
Zum Glück gibt es auch kritische Gegenstimmen im Stadtteil, so plant Pfarrer Augustin einen runden Tisch nachdem ihn einige Aussagen beim politischen Abendgebet, wo auch Initiatoren der o.g. Unterschriftensammlung anwesend waren, an nationalsozialistische Vernichtungsideologie erinnert haben. So meinte beispielsweise einer der Anwesenden die zugewanderten Menschen seien “unbrauchbar”. Die Konsequenz solch einer menschenverachtenden Kategorisierung steht in den Geschichtsbüchern 1933-45.
Nazis als die Speerspitze des Alltagsrassismus
In Ungarn und weiteren (Süd)osteuropäischen Ländern sind solche Vernichtungsphantasien gegenüber den Roma bereits in Form von paramilitärischen “Bürgerwehren” politische Realität. So fand erst am 17.10.2012 eine Demonstration der extrem rechten Parlamentspartei Jobbik (Die Besseren) statt, an der auch uniformierte Mitglieder der verbotenen paramilitärischen Ungarischen Garde unbehelligt von der Polizei teilnahmen. Aus dem Dunstkreis dieser Garde kamen auch die Täter, welche 2009 ein von Roma bewohntes Haus anzündeten und einen Mann mit seinem 5-Jährigen Sohn erschossen, als sie sich retten wollten. Vor dem Hintergrund solcher tödlicher Angriffe und des dort vorherrschenden Antiziganismus ist es mehr als nachvollziehbar, dass Roma-Familien aus Angst aus ihren Herkunftsländern fliehen. Angekommen in der BRD werden sie mit einer rassistischen Hetze konfrontiert, in der die Nazi-Aufmärsche, die sich explizit an Ungarn orientieren, nur die Spitze des Eisbergs darstellen.
So veranstaltate die NPD am 18.10.2012 eine Kundgebung gegen eine provisorische Flüchtlingsunterkunft in Essen. Damit griff sie eine von Teilen der Anwohnerschaft getragene Kampagne gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in Essen-Frintrop auf. Auf einer von der Ortsgruppe der CDU einberufenen Versammlung kursierten Unterschriftenlisten gegen die Flüchtlingsunterkunft. Auch Aktivisten der Essener NPD waren bei der Versammlung anwesend.
Von Verschwörungstheorien und „Deutschen Zuständen“
Solche Unterschriftensammlungen erinnern wieder an Duisburg-Bergheim. Doch auch in anderen Stadtteilen Duisburgs kommt es zu rassistischen Ausfällen. Ein absurdes Beispiel dafür wäre die Aussage eines Herrn aus Marxloh, “dass die Roma „unter dem Schutz des Innenministeriums“ stünden: „Weil das Land ja Geld für die bekommt.“ Deswegen würde die Polizei, wie er sagt, „auch nichts machen.“”. Abgesehen davon, dass der Teil bzgl. der Polizei nicht den Tatsachen entspricht, gleicht der Rest dieser Aussage einer realitätsfremden Verschwörungstheorie, die versucht den eigenen Rassismus mit erfunden Fakten zu untermauern bzw. zu erklären.
Dass dieses Thema gerade jetzt so hochkocht ist auf der einen Seite absurd, da sich bei nüchterner Betrachtung doch viel größere Probleme auftun als Müll auf den Straßen, z.B. die Entmündigung von Duisburger Bürger_innen durch die Zwangs-„Umsiedlung“ wegen des Factory-Outlet-Centers oder die Frage nach der systemischen Krise der kapitalistischen Wirtschaft und deren Abwälzung auf die Bevölkerung, wodurch immer mehr Menschen verarmen. Doch so absurd und paradox es klingt, hat es doch miteinander zu tun. So zeigten die Studien von Prof. Heitmeyer wie sehr Menschen in Deutschland gerade in Zeiten in denen ihr eigener sozialer Status verloren geht, sich an anderen schwächeren sozialen Gruppen abreagieren. (vgl. Heitmeyer, Wilhelm: Deutsche Zustände) Da dieses Abreagieren oder besser gesagt Abwerten von Menschen laut der Studie auch immer eine rassistische Komponente hat, zeigt das alles leider nur wie tief der Rassismus bzw. Antiziganismus in Deutschland und auch in Duisburg immer noch festsitzt.
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